Förderung der Normung durch die Wehrmacht
Wehrmachtgeräte werden unter weitgehender Anwendung der Dinormen entwickelt. Dinormteile erfahren dadurch eine außerordentliche Steigerung ihrer Stückzahlen. Normgerecht aufgestellte Gerätzeichnungen und Stücklisten werden in großer Zahl nicht nur an bedeutende Werke ausgegeben, sondern auch an kleine und kleinste Firmen und Handwerksbetriebe. Alle Werkstätten, von denen manche noch wenig oder gar nichts von der Normung wußten — vielleicht auch nichts wissen wollten —, sind gezwungen, sich mit den Normen zu befassen. Diese Einführung der Normen in die Praxis durch den z. Z. größten Auftraggeber in Deutschland hat sich als außerordentlich wirksam erwiesen.
Zusammenarbeit der Wehrmachtteile
Jede der HgN-, LgN-, M WaN- und KM-Normen ist
das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit der Normenstellen der drei Wehrmachtteile. Im allgemeinen übernimmt der Wehrmachtteil, bei dem das Bedürfnis nach der Norm zuerst auftritt, die Ausarbeitung des betreffenden Normblattes. Die beiden anderen Wehrmachtteile werden von der neuen Arbeit unterrichtet, sie prüfen die Entwürfe und geben ihre Wünsche bekannt, sofern die Norm auch ei ihnen Anwendung finden kann. Wenn es die Lösung gemeinsamer Aufgaben erfordert, dann wird aus den Sachbearbeitern der Wehrmachtteile ein Arbeitsausschuß gebildet, der die einzelnen Forderungen an das Normblatt einheitlich ausrichtet. In der Wehrmacht tritt allerdings auch der Fall ein, daß eine Norm in ihrer Anwendung zunächst nur auf einen Wehrmachtteil und hier vielleicht lediglich auf einen bestimmten Zweig zugeschnitten ist. Der Grund dafür ist durchaus erklärlich, er liegt in den oft verschiedenen Bedingungen, unter denen die Geräte einsatzbereit sein müssen. So werden z. B. an elektrotechnische Installationsteile, je nachdem ob sie für Marinefahrzeuge oder Flugzeuge bestimmt sind, ganz verschiedene Anforderungen gestellt.
Bei Aufstellung technischer Lieferbedingungen wird die Zusammenarbeit der Wehrmachtteile in gleicher Weise durchgeführt.
An der Prüfung der Normblattentwürfe werden auch die Hersteller der Geräte und der in Aussicht genommenen Normteile beteiligt. Die Normblätter der Wehrmachtteile sind also das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit auf breiter Grundlage,
Ein Beweis für die immer weiter fortschreitende Vereinheitlichung des Zeichnungswesens der Wehrmacht sind die Normblätter M WaN 10513 — Gerätzeichnungen, Schriftfeld — und HgN 10411 — Stückliste.
Die einschlägigen Normen waren zwar von Anfang an von den drei Wehrmachtteilen in enger Fühlungnahme aufgestellt worden; sie wiesen jedoch zuerst kleine Unterschiede auf, weil Eigenheiten, die meist verwaltungstechnischer Art waren, zunächst noch berücksichtigt werden mußten. Wie aus den Normblättern hervorgeht, bestehen jetzt einheitliche Zeichnungen und Stücklisten für Heergeräte einschl. der Flakgeräte sowie für Bordwaffen und -gerate der Marinefahrzeuge und Flugzeuge. Darüber hinaus sind auch die Lehren-, Werkzeug- und Vorrichtungszeichnungen laut M WaN 105 25 für diese Geräte vereinheitlicht worden. Die Vorteile, die diese Vereinheitlichung besonders den Herstellern bringt, liegen auf der Hand. Der Flugzeugbau wendet im großen und ganzen ebenfalls die einheitliche Aufteilung der Zeichnungsätze an, muß aber infolge der umfangreichen Geräte eine weitergehende Aufteilung in selbständige Einheiten (Untergruppe usw.) vornehmen. Im Kriegschiffbau ist, soweit eine Reihenfertigung in Betracht kommt, ebenfalls vorgesehen, in absehbarer Zeit zum einheitlichen Zeichnungsaufbau überzugehen. Als Gesamtbild ergibt sich demnach eine weitgehende Vereinheitlichung des Zeichnungswesens der Wehrmacht.
Gemeinschaftsarbeit der Wehrmacht mit dem Deutschen Normenausschuß und anderen Körperschaften
Wenn die vom Deutschen Normenausschuß, Reichsausschuß für Lieferbedingungen, Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung, vom Verein deutscher Ingenieure im NSBDT und seinen Fachausschüssen usw. in Angriff genommenen Aufgaben die Belange der Wehrmacht berühren, dann beteiligt sich die Wehrmacht stets rechtzeitig daran, um die Arbeiten entsprechend zu steuern. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich nicht nur auf die mit Maschinenbau und Elektrotechnik zusammenhängenden Fächer, sondern auch auf das Bauwesen und viele andere Gebiete. Angehörige der Wehrmacht sind an führenden Stellen am Aufbau des allgemeinen deutschen Normenwerkes beteiligt, oder sie arbeiten mit in den Ausschüssen, die zur Lösung bestimmter Aufgaben allgemeiner Art aus Vertretern der Hersteller und Verbraucher gebildet worden sind15). Auch in anderen Staaten ist die Mitarbeit der Wehrmacht an den Landesnormen durchaus üblich.
Die Eingliederung der von der Wehrmacht für die Geräte geschaffenen Normen in das allgemeine deutsche Normenwerk war bislang auch dann nicht möglich, wenn die Normen über die Zwecke der Wehrmacht hinaus verwendbar waren und mithin die Bedeutung von Dinormen hatten. Die Entwürfe hätten mit einer gewissen Einspruchsfrist veröffentlicht werden müssen, was Zeitverluste verursacht haben würde, die meistens nicht tragbar gewesen wären. Eigene Kennzeichen für die Wehrmachtnormen waren daher notwendig, um zu zeigen, daß diese Blätter außerhalb des Deutschen Normenausschusses entstanden sind.
Vor einiger Zeit führte der Deutsche Normenausschuß ein Kurzverfahren ein, das die durch die Maßnahmen zur Leistungsteigerung und den Krieg notwendig gewordene schnelle Herausgabe von Dinormen ohne vorherige Veröffentlichung der Entwürfe ermöglicht. Die auf diese Weise entstandenen Normen werden als DIN-Einheitsblätter bezeichnet. An ihre Ausgabe ist die Bedingung geknüpft, daß sie von Herstellern und Verbrauchern gemeinsam ausgearbeitet worden sind.
Das Kurzverfahren bietet auch die Möglichkeit zur Eingliederung der von den Wehrmachtteilen aufgestellten Normen in das deutsche Normenwerk. Die Voraussetzung wird erfüllt, denn die Wehrmachtnormen sind, wie bereits erwähnt worden ist, das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit. Vom Bestreben geleitet, alle Normungsarbeiten im Deutschen Normenausschuß zusammenzufassen, werden seit einigen Monaten alle bei den Wehrmachtteilen entstehenden Normen in eine besondere Abteilung des deutschen Normenwerkes eingegliedert. Für den Inhalt der Normen dieser Abteilung ist die Wehrmacht allein verantwortlich. Die eingegliederten Normen erhalten statt der Kennzeichen HgN, MWaN, LgN das DIN-Zeichen mit einer Nummer aus dem Bereich 920 00 bis 999 99. In der Kopfleiste wird das Wort „Wehrmacht" angegeben, und über der Fußleiste ist die Dienststelle des Wehrmachtteiles genannt, der das Blatt ausgearbeitet hat. Für die Eingliederung kommen zunächst nur Maßnormen (Normteile) in Betracht. Bei Grundnormen und Normen für die Zeichnungsorganisation wird von Fall zu Fall geprüft, ob eine allgemeine Anwendungsmöglichkeit besteht. Auch die vorhandenen Normen der Wehrmacht können gelegentlich einer Neuausgabe in die Dinormen eingegliedert werden. Allerdings wird
dies in einigen Fällen schwierig sein, weil diese Normen bzw. Normteile, wie z. B. die Kastenbeschläge, in anderen Zweigen der Wirtschaft weitgehende Anwendung gefunden haben. Alle diese Verbraucher und Hersteller müßten gegebenenfalls die in Zeichnungen, Stücklisten und Druckschriften stehenden Bezeichnungen durch!
neue ersetzen.
Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß die Normung nicht nur nach ihrer Auswirkung auf die Herstellung größerer Stückzahlen, herabgesetzte Herstellkosten und vergleichsweise niedrigere Preise bewertet werden darf. Infolge der wirtschaftlicheren Fertigung werden auch Maschinen und Menschen frei, die vorher! in einer größeren Anzahl von Fertigungsstätten zur Herstellung einer Vielzahl kleiner Mengen eingesetzt waren. Ferner werden Fehllieferungen vermieden durch diel klaren, eindeutigen Bezeichnungen, was für die Wehrmacht besonders wichtig ist, weil dadurch der ungehinderte Nachschub für die Instandsetzungswerkstätten gesichert wird. Alle diese Erfolge lassen sich aber nicht wie bei der Herstellung von Gegenständen in Mark ausdrücken, obgleich sie für die Volkswirtschaft große Bedeutung haben und besonders im Kriege mit entscheidend sind.
Zusammenfassung
Ausgehend von der ersten Nutzanwendung der Normen für die Landesverteidigung, werden die hauptsächlichsten Gebiete aus der Normungsarbeit der Wehrmacht behandelt. Ferner wird auf die Zusammenarbeit der Wehrmacht-Normenstellen untereinander und auf ihre Gemeinschaftsarbeit mit dem Deutschen Normenausschuß und anderen Stellen der Gemeinschaftsarbeit hingewiesen. Neuerdings werden die von der Wehrmacht ausgearbeiteten Normen in die Dinormen eingegliedert. Dadurch wird der Vereinheitlichungsgedanke unterstützt und die Geschlossenheit des Reichsnormenwerkes gefördert mit dem Ziel, den Dinormen die Stellung zu geben, die sie nach Beendigung des Krieges im Wirtschaftsraum Großdeutschlands einnehmen müssen.
Quelle: VDI Zeitschrift Bd. 86, Nr. 9/10 , v. 7.4.1942. S 133 - 134