Die Heeresgerät-Fertigung und ihre Eigenheiten
Von Obering. H. Hoerschelmann VDI, Berlin- Siemensstadt, 1938


Heeresgerät-Fertigung ist an sich nichts anderes als eine normale, aber besonders  hochwertige Fertigung.    Gestalter und Fertigungsingenieure   müssen   sich  auf  die hohen Anforderungen an Genauigkeit und Güte einstellen,   die sich daraus ergeben, daß ein Heeresgerät unter allen Umständen seine? Aufgaben in Krieg und Frieden vollkommen und störungsfrei erfüllen muß
Die Heeresgerät - und insbesondere die Waffenfertigung weist eine Reihe von Eigenarten auf, die sie von der Fertigung sonstiger Industriegüter wesentlich unterscheidet. Es muß gleich vorweggenommen werden, daß mit der Feststellung von Eigenarten nicht gemeint ist, daß die Waffenfertigung „etwas Besonderes" sei, daß sie nur nach jahrelanger Tätigkeit auf diesem „Sondergebiet" beherrscht werden könne. Im Gegenteil, sie ist eine ganz normale Fertigung, allerdings von bestimmtem hohen Genauigkeitsgrade und verbunden mit Anforderungen, die durch die Eigenarten im Gebrauch hervorgerufen werden und dadurch die Fertigung mit hohem Genauigkeitsgrad noch besonders beeinflussen.

Anforderungen an Heeresgeräte
Bei keinem anderen Erzeugnis ist die Wichtigkeit einer unbedingt störungsfreien Funktion so in den Vordergrund gerückt, wie dies bei einer Waffe der Fall ist. Dabei wird unter „Funktion" alles verstanden, was beim Gebrauch von der Waffe üblicherweise gefordert wird. Im Hinblick auf diese besondere Bedeutung sei dieser Fachausdruck hier beibehalten. Ehe die Funktion des Gerätes nicht in jeder Beziehung gewährleistet ist, d. h. ehe nicht alle an sie gestellten Forderungen als erfüllt betrachtet werden können, kann an eine Ausrüstung der Truppe, also vorhergehend an eine Fertigung in größerem Umfange, gar nicht gedacht werden. Der Weltkrieg hat verschiedentlich gezeigt, daß ein im entscheidenden Moment funktionelles Versagen einer Waffe den Erfolg militärischer Unternehmungen in Frage stellen kann und damit nicht nur das Schicksal vieler Einzelmenschen entscheidet, sondern unter Umständen Völkerschicksale beeinflußt.
Für die Befehlsdurchgabe bedient man sich in großem Umfange des Nachrichtengerätes. Stellen sich nun z. B. in entscheidenden Augenblicken Störungen bei solch einem Gerät ein, so ist die Befehlsdurchgabe behindert; auch dies kann zu unabsehbaren Folgen führen.
Hat die Munition durch irgendein Versehen eine vom Vorgeschriebenen abweichende Pulverladung erhalten, so können die ballistischen Eigenschaften eines Geschosses derartige Abweichungen aufweisen, daß das Feuer namentlich bei indirektem Schießen völlig unwirksam bleibt oder gar eigene Truppen gefährdet.
Kein anderes Industrieerzeugnis kann beim Versagen derartige Folgen nach sich ziehen. Das Heeresgerät muß nicht nur brauchbar im allgemeinen Sinne, sondern es muß kriegsbrauchbar sein; denn Kriegsbrauchbarkeit bedeutet eine Erfüllung sowohl rein technischer Forderungen als auch in erster Linie militärischer Notwendigkeiten, die eine Hauptgrundlage bei der Entwicklung von Waffen und Heeresgerät darstellen. Diese militärischen Forderungen können verschiedenster Art sein, und die Aufgabe des Gestalters in Zusammenarbeit mit dem Fertigungsfachmann ist, ein Erzeugnis zu schaffen, das sowohl den militärischen Forderungen entspricht als auch fertigungstechnisch auf der Höhe ist.
Neben der reinen Kriegsbrauchbarkeit muß die Waffe auch im Frieden das gewährleisten, was im Kriege von ihr verlangt wird, denn im Frieden erfolgt die Ausbildung der Truppe zum brauchbaren Kriegsinstrument, und nur der Kämpfer wird sein Bestes hergeben, der sich auf sein Hilfsinstrument voll und ganz verlassen kann; er muß also zu der Zweckmäßigkeit und Kriegsbrauchbarkeit des Gerätes schon im Frieden volles Vertrauen gewinnen. Das Vertrauen in die Funktion ist ein psychologisches Moment, welches beim Heeresgerät viel ausschlaggebender berücksichtigt werden muß als bei anderen Erzeugnissen. Die Güte eines Gebrauchsgegenstandes ist vielfach nur eine Preisfrage, und der Abnehmer richtet sich nach seinem Geldbeutel, wenn er eine Anschaffung macht. Je nach den Einkommensverhältnissen wird der Käufer sich einen Kraftwagen für 1450 oder 14 500 3M kaufen und ist sich darüber klar, daß er Güte- oder Ausstattungs-Unterschiede in Kauf nimmt. Ein Gewehr jedoch, unterschiedlich in Güte je nach Preisaufwand, ist für mili¬tärische Zwecke undenkbar; es muß immer das Beste vom Besten sein und unabhängig von der Stückzahl in gleicher Güte vorliegen. Also fällt ein wesentliches Merkmal des normalen Industrieerzeugnisses — Güte in Abhängigkeit vom Preis — beim Heeresgerät für ein und denselben Bestimmungszweck fort, und ein hoher Grad von Gleichmäßigkeit in der Güte bei — man möchte sagen — unbegrenzten Stückzahlen ist eine grundlegende Forderung. Auch die Fertigungszeit von Waffen und Heeresgerät muß unter einem besonderen Gesichtswinkel betrachtet werden. Die Industrie bemüht sich um Zeit- und Arbeitskraft sparende Arbeitsverfahren, um einen wirtschaftlichen Fortschritt zu erzielen und um den arbeitenden Menschen die Arbeit zu erleichtern. Zu diesen allgemeinen Gesichtspunkten kommt bei der Heeresgerät-Fertigung hinzu, daß Zeitersparnisse in der Fertigung von ausschlaggebender Bedeutung für die Schlagfertigkeit des Nachschubes im Kriegsfalle sind. Die Erfahrungen des Weltkrieges zeigen, von welch ungeheurer Wichtigkeit eine schnelle Bereitstellung von Ersatz für das Verbrauchte ist, wie Hemmungen im Nachschub die militärischen Entschlüsse beeinflussen können und wie noch so gut angestellte Überlegungen bezüglich des zu erwartenden Bedarfes sich als irrig erweisen können. Sei es, daß der eintretende Bedarf sich als viel zu gering veranschlagt herausstellt, sei es, daß ein unerwarteter Ausfall von Fertigungsstätten eintritt, sei es, daß vorübergehend eine Werkstoffverknappung eintritt, in jedem denkbaren Fall wird es immer ein ganz großer Vorzug sein, wenn bei auftretender Notwendigkeit die reine Herstellungszeit von Waffen und Gerät das Mindestmaß dessen ergibt, was Konstruktion und Fertigung in engster Zusammenarbeit überhaupt erreichen können. Der notwendige Bedarf kann entweder dadurch sichergestellt sein, daß eine große Vorrats-Ansammlung im Frieden die Zeitspanne eines langen Anlaufens überbrückt, oder aber, daß durch schnellen Anlauf, also kürzeste Zeiten in der Herstellung, diese Bereitstellung im Frieden wesentlich geringer gehalten werden kann, was volkswirtschaftlich von großer Bedeutung ist, da sie ja die Investierung riesiger Mittel bedeutet, ganz abgesehen davon, daß die ständige Weiterentwicklung in Friedenszeiten derartige Vorräte zu Schrott werden läßt, wenn sie durch Neuentwicklungen überholt sind. Es müssen daher die kürzesten Herstellungszeiten angestrebt werden, doch darf diese Minderung der Herstellungszeiten sich unter keinen Umständen irgendwie nachteilig auf die gleichmäßige Güte des Heeresgerätes auswirken, denn, wie oben gesagt, muß die Kriegsbrauchbarkeit auf jeden Fall erhalten bleiben.
 
Der laufende Bedarf im Kriege ist nicht nur wesentlich höher als in Friedenszeiten, seine Deckung ist auch aus verschiedenen Gründen weitaus schwieriger. Industrielle Umstellung, Arbeiterfragen, Werkstofffragen usw., gedrängt auf kurze Zeitspannen, bringen Probleme mit sich, deren reibungslose Lösung immer mit gewissen Schwierigkeiten verbunden bleibt, auch wenn Vorarbeiten im Frieden geleistet worden sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die wesentlichen Merkmale, die eine Besonderheit bei der Herstellung von Heeresgerät gegenüber der anders gearteten Industrieerzeugung darstellen, sind:
1.Gewährleistung der Kriegsbrauchbarkeit,
2.Laufend    gleichbleibender    Gütegrad    bei    beliebigen Stückzahlen,
3.Das  Fehlen verschiedener Preislagen für  ein   Gerät desselben Verwendungszweckes,
4.Geringster Zeitaufwand aus Gründen der Anlaufzeitverkürzung,
5.Besonderheiten in der Abnahme


Fertigungstechnische Gesichtspunkte
Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen fertigungstechnische Fragen, über die nun gesprochen werden soll, gar keine oder nur lose Berührungspunkte mit den oben erwähnten Merkmalen zu haben. Es soll der Nachweis erbracht werden, inwieweit und welcher Art Fertigungsfragen in engstem Zusammenhang damit stehen und wie die Ingenieurarbeit ausgerichtet sein muß, um ihrerseits an der Erfüllung gewisser technischer Aufgaben bestens mitzuarbeiten. Die Funktion eines Gerätes wird durch Entwicklung festgelegt und erprobt, und zwar in den meisten Fällen an geringen Stückzahlen, die naturgemäß nicht so gefertigt werden können und sollen wie bei der späteren Reihen- oder Massenfertigung. Die militärisch geforderte Funktion steht an erster Stelle, bei der zeichnerischen Festlegung werden alle nur möglichen fertigungstechnischen Verbesserungen eingearbeitet; und doch wird man es nicht in allen Fällen erreichen können, daß bestmögliche Funktion sich auch mit bestmöglicher Fertigungsart verbinden läßt. Es bleibt dem Fertigungsingenieur immer eine ganze Reihe von Aufgaben zu lösen, die nicht einfachste Fertigungsmöglichkeiten zulassen, eben um die Funktion nicht zu gefährden. Namentlich in den Schußwaffen sind die sich abspielenden Vorgänge äußerst komplizierter Natur; es treten sehr kurzfristige, wechselnde und hohe Beanspruchungen auf, die an die Qualität der beteiligten Teile sehr hohe Anforderungen stellen, Anforderungen an die Festigkeit, Maßhaltigkeit und Oberflächenbeschaffenheit. Schon ist man mitten in Fertigungsfragen, denn Festigkeit gehärteter Teile, Maßhaltigkeit und Oberflächenbeschaffenheit sind Dinge, deren richtige Erreichung dem Fertigungsingenieur obliegt. Besonders bei Waffen muß noch ein Umstand besonders erwähnt werden, der nur vereinzelt bei sonstigen Industrieerzeugnissen auftritt. Bei keinem anderen Gerät spürt man so ausgesprochen die Traditionsgebundenheit an das Handwerk wie gerade bei der Waffenfertigung, die ihre Anfänge in dem Büchsenmacherhandwerk hat und noch bis vor gar nicht langer Zeit stärkstens dadurch beeinflußt wurde. Noch im Jahre 1927 wurden dem auslernenden Lehrling des Büchsenmacherhandwerks Gesellenstücke aufgegeben, die darin bestanden, daß aus einem Klotz Stahl ein Jagdgewehrschloß unter Vermeidung jeglicher Maschinenbenutzung herzustellen war. Meißel, Hammer, Handbohrer und Feile waren seine einzigen Werkzeuge. Diese handwerksmäßige Tradition hat sich auch auf die Konstruktionen ausgewirkt, und zwar dahingehend, daß der Konstrukteur mit ruhigem Gewissen komplizierte Gebilde entwarf, denn er wußte ja, was maschinell nicht erreichbar ist, schafft der ausgezeichnete Schlosser beim Zusammenbau mit der Feile. Die Erkenntnis, daß dies kein erträglicher Zustand für den heutigen Stand der Technik ist, hat sich seit geraumer Zeit schon durchgesetzt; an seiner Überwindung wird laufend gearbeitet, und sein letztes Ziel ist: maschinenfertige Teile.
Hier kommen wir zu einem Kernpunkt meiner Dar¬legungen. Die Forderung maschinenfertiger Teile wird im allgemeinen bei vielen Fachleuten Erstaunen auslösen, denn sie werden sagen: Das ist ja eine Selbstverständlichkeit, das machen wir ja im Maschinenbau, in der Elektrotechnik usw. schon lange so. Jedoch wird dies Erstaunen vielfach auf Unkenntnis der Zusammenhänge zurückzuführen sein, denn die wenigsten von diesen Erstaunten werden wissen, um welche Genauigkeiten es geht, wenn man von maschinenfertigen Waffenteilen spricht
… Es handelt sich also um die Frage, wie man erreicht,. daß laufend Hunderttausende von Fräs- oder Drehteilen anfallen, deren Fräs- bzw. Drehgenauigkeit eine Maßabweichung von einigen hundertstel Millimeter aufweist, oder daß beim Bohren Lochmittenabstände mit einer Genauigkeit von 0,01 mm laufend eingehalten werden.
Ich möchte nur jedem Betriebsmann empfehlen, sich einmal darüber klar zu werden, welche Arbeitsgenauigkeiten er laufend in den ihm unterstellten Werkstätten erzielt, und zwar durch Maschinenarbeit, ohne daß nachher noch mit der Feile oder durch Schmirgeln nachgeholfen wird. Grundlegend für die Beantwortung dieser Frage ist selbstverständlich der Zustand, in welchem sich die Bearbeitungsmaschinen befinden, ob sie alt oder neu sind, ob ihre Arbeitsgenauigkeit durch gute Wartung und Pflege, rechtzeitige Instandsetzung usw. aufrechterhalten bleibt. Doch ebenso wichtig sind noch andere Umstände, ohne deren Berücksichtigung man trotz Einsatz neuester und genauester Maschinen keine befriedigende Fertigungsgenauigkeit erzielt. Die richtige Durchbildung der spanabhebenden Werkzeuge (Fräser, Bohrer, Reibahlen usw.), der Vorrichtungen, die das Werkstück beim Einspannen verziehen oder zu locker spannen können, so daß das Werkzeug das Werkstück hochzuziehen versucht, sind Probleme, die genau so zu beachten sind wie die Maschine selbst. Und nicht unerwähnt darf die Erziehung der Gefolgschaft zu Güte-Erzeugung und Genauigkeit bleiben, sowie die Schulung zum Denken „in Massen". Mehr als einmal hat der Verfasser bei der Durchsprache von Fertigungen auf die Frage, welche Arbeitsgenauigkeit erreicht werden kann, die nichtssagende Antwort erhalten, man fertige so genau, wie es verlangt wird, oder man erreiche jede Genauigkeit; jedoch wurden auf die Frage nach Zahlenwerten gar keine oder ausweichende Antworten erteilt. Daß letztlich ein sehr hohes Maß von Genauigkeit erreichbar ist, steht außer Zweifel, nur wird meistens die oben gestellte Forderung einer „maschinenfertigen" Herstellung selten richtig gewürdigt. Eine weitere Frage ist die der Oberflächengüte maschinenfertiger Teile. Die Funktion der Waffenteile ist häufig mit schnell hin- und hergehenden oder Drehbewegungen, auch in Gewinden, verbunden. Die Waffe ist zum Teil hohen Erwärmungen ausgesetzt, sie wird namentlich im Krieg einem sehr rauhen Gebrauch unterworfen; Verstaubung, Verschmutzung, Witterungseinflüsse kommen hinzu, jedoch nach wie vor muß ein Maschinengewehrschloß 400, ja 800 Bewegungen in der Minute ausführen und wird dabei nicht immer eine liebevolle und sorgfältige Wartung erfahren. Daß hierbei die Oberflächengüte der auf - oder ineinander gleitenden Teile von ausschlaggebender Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Die Oberflächengüte wird dem Verwendungszweck entsprechend vorgeschrieben und ebenso wie die Maßhaltigkeit durch amtliche Organe bei der Abnahme geprüft. Dem Fertigungsingenieur erwächst nun die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die vorgeschriebene Oberfläche maschinenfertig hergestellt wird.. Das würde an sich keine Schwierigkeit bedeuten, wenn es sich um Flächen handelt, die durchgehend bearbeitet werden können; denn sauber Rundschleifen oder Langfräsen bzw. Planschleifen ist nur eine Frage des Maschinen- und Werkzeugzustandes. Doch dies ist vielfach nicht zu erreichen, weil die Funktion der Waffe Teile erfordert, die nicht ein glattes durchgehendes Bearbeiten zulassen. Also muß der Fertigungsingenieur Arbeitsverfahren ersinnen, die trotz der Kompliziertheit der Teile eine maschinenfertig einwandfreie Oberfläche ergeben, wie sie vorgeschrieben ist. Die im Normblatt DIN 140 festgelegten Bezeichnungen, mit denen die geforderte Oberflächengüte in den Zeichnungen bestimmt wird, lassen einen gewissen Spielraum für die Beurteilung zu. Es hat sich daher als notwendig herausgestellt, neben diesen in Worte gekleideten Bestimmungen Anschauungsmaterial herauszubringen, und das ist bei der Wehrmacht durch Herausgabe von Mustertafeln erfolgt. Es ist klar, daß die Oberflächengüte aufs engste durch das Arbeitsverfahren (Drehen, Fräsen, Schleifen, Hobeln usw.) bedingt ist, doch auch bei ein und demselben Verfahren können Unterschiede auftreten; so wird man mit einem Senkrechtfräser nicht dieselbe Oberflächengüte erreichen wie mit einem spiralgenuteten Walzenfräser. Bei einem runden Teil, dessen Oberflächengüte vorgeschrieben ist, wird man durch Schleifen eine glattere Oberfläche erzielen als durch das Drehen; es wäre aber ein Fehler, zu sagen, um den Gütegrad W zu erreichen, muß man immer schleifen. Anderseits muß aber auch der Konstrukteur beim Vorschreiben des Oberflächen-Gütegrades sich darüber Gedanken machen, wie er die Formgebung für ein Teil vornimmt, um nicht den Hersteller vor große Schwierigkeiten zu stellen, weil eine Oberflächengüte an Stellen verlangt wird, bei welchen maschinelle Arbeitsverfahren, die eine derartige Güte ergeben, gar nicht anwendbar sind. Ein weitverzweigtes Übel, das wohl in erster Linie auf Unkenntnis der Zusammenhänge beruht, ist die viel zu geringe Beachtung, die innerhalb der Betriebe auf die pflegliche Behandlung von Teilen während der Fertigung gerichtet ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Ausbildung der Spannelemente bei Vorrichtungen, auf die Sauberhaltung der Anlageflächen von Spänen als auch auf Meidung von Beschädigungen während der Beförderung. Man trifft immer noch auf Spannelemente, die sich in eine fertig bearbeitete Fläche eindrücken, auf Spuren von Spänchen, die zwischen Spannelementen und bearbeiteten Flächen liegen und Abdrücke hinterlassen, auf Kratzer und Beschädigungen, die auf unachtsames Stapeln oder sogar auf Fallenlassen der Teile in den Förderkästen zurückzuführen sind. Hier handelt es sich keineswegs nur um Schönheitsfehler; sind Gleitflächen schnell beweglicher Teile betroffen, so kann eine Narbe zum Fressen führen und die Funktion der Waffe in Frage stellen, insbesondere wenn Verschmutzung hinzutreten kann. Daß gleitende Flächen gleichmäßig tragen, ist von besonderer Wichtigkeit, wenn das Gleiten unter hohem Druck vor sich geht. Die zulässige spezifische Flächenbelastung darf nicht überschritten werden; Wegdrücken der Schmiermittel und danach Fressen können die Folge sein. Dies kann sich insbesondere bei Gleitkurven, die vielfach benutzt werden, sehr unangenehm bemerkbar machen. Die Austauschbarkeit ist für viele Industrien der zivilen Fertigung ein landläufiger Begriff geworden. Durch die Normung, die Passungen und Toleranzen sind die Vorbedingungen für den Austauschbau geschaffen, und doch hat der Austauschbau bei der Heeresgerät-Fertigung seine eigene Note. Hier ist der Austauschbau eng mit der Schlagfertigkeit der Truppe verbunden, also wieder mit militärischen Fragen höchster Wichtigkeit. Das Nichtpassen eines Ersatzteiles bei einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (Kraftwagen, Nähmaschine, Rundfunkempfänger) kann zu starker Verärgerung des Kunden, vielleicht zu geldlichen Nachteilen führen, jedoch nie zur Gefährdung von Menschenleben und taktischen Mißerfolgen. Anders bei einer Waffe. Die in den Ersatzteilkästen für Handfeuerwaffen oder selbsttätige Waffen befindlichen Teile müssen augenblicklich einbaufähig sein und dieselbe Funktion des Gerätes gewährleisten, die vorlag, bevor das zu ersetzende Teil versagte. Ein neuer Schleuderhebel für das Maschinengewehr aus dem Ersatzteilkasten muß genau so funktionieren wie der auszutauschende. Ist dies nicht der Fall, können Hemmungen eintreten, und die fehlende Feuerbereitschaft kann sich militärisch katastrophal auswirken. Diese Austauschbarkeit wird nun durch eine weitgehende und exakte Festlegung der zulässigen Maßabweichungen erreicht. Ein Gewehrschloß, gefertigt von den Firmen A, B und C, muß in ein beliebiges Gewehr hineinpassen, sei es bei einer neuen Waffe oder einer solchen, die vor beispielsweise zehn Jahren gefertigt wurde, und zwar von der Firma D; dies gilt im Frieden. Viel wichtiger noch ist das aber im Kriege. In der laufenden Fertigung kann neben dem reinen Austauschbau immer noch das Aussuchverfahren Anwendung finden. Bei einer begrenzten Anzahl von Maschinengewehr-Schlössern bleibt einer Mannschaft zum Aussuchen nicht viel übrig, da muß eben das nächste passen. Bei den vielen in Wechselwirkung stehenden zulässigen Maßabweichungen ist es häufig gar nicht leicht für den Konstrukteur, die richtige Lösung zu finden; es kann sogar zu einer starken Einengung der zulässigen Maßabweichungen führen, alles im Interesse einer vollen Austauschbarkeit, und damit muß sich dann der Fertigungsingenieur abfinden und darf nicht die wenigen hundertstel Millimeter an sich verdammen. Beim Heeresgerät ist eben die Austauschbarkeit nicht nur eine Wirtschaftlichkeitsfrage, sondern sie kann zur Lebensfrage werden. Man muß auch hierbei die Heeresgerät-Fertigung sozusagen von einer höheren Warte aus betrachten und nicht nur mit dem Maßstab der reinen Wirtschaftlichkeitsrechnung. Durch den bereits erwähnten Einfluß, den das handwerksmäßige auf die Entstehung der Waffenkonstruktionen gehabt hat und dessen Spuren noch nicht restlos
aus den Konstruktionsbüros der Waffenhersteller verschwunden sind, sowie ferner durch Besonderheiten, die in der Natur des Gerätes liegen, hat auch der Maschinenpark, welcher für die Herstellung der Waffen dient, seine Eigenheiten. Auf der einen Seite sind es die noch vielfach notwendigen Sondermaschinen, auf der anderen bestimmte Maschinenarten, die anteilmäßig in weitaus größerem Umfange erforderlich sind als bei anderen Industrieerzeugnissen. In diesem Falle ist von Sondermaschinen die Rede, die nicht bedingt sind, für eine ausgesprochene Massenfertigung eine bis aufs äußerste getriebene Maschinenausnutzung zu gewährleisten, sondern es soll auf die Sondermaschinen hingewiesen werden, deren Entstehung mit der Art des Waffenteiles zusammenhängt. Teile wie ein Gewehrlauf oder ein Geschützrohr, wie der Gewehrschaft oder eine Reihe von Teilen mit unregelmäßigen Kurvenprofilen bedingen Hohlbohrbänke, Drallziehmaschinen, besondere Holzbearbeitungsmaschinen und Kopierfräsmaschinen. Es gibt auch vereinzelt Handarbeitsgänge, die in keinem anderen Industriezweig auftreten und besondere Einrichtungen bedingen, wie beispielsweise das Richten von Gewehrläufen mit den dazugehörigen Gewehrlaufrichtmaschinen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß diese Sonderarbeiten auch eine bestimmte Schulung und Anweisung des Personales bedingen, wozu erfahrenes Unterweisungspersonal erforderlich ist; die Arbeiten selbst können jedoch von angelernten Leuten, teilweise sogar von Frauen, durchgeführt werden.
') Vgl. M. Klein, Z. VDI Bd. 80 (1936) S. 311 und Masch.-Bau/Betrieb Bd. 14 (1935) S. 539.
>) Vgl. H. Kalthaus, Z. VDI Bd. 81 (1937) S. 1091. *) S. a. Richtlinien für  den Vorrichtungsbau   (herausgegeben   vom Ausschuß für Vorrichtungen bei der ADB), Berlin.
s) S. a. 0. SchmaUz. Technische Oberflächenkunde, Berlin 1936-bespr. in /. VTH Bd. 81 (1937) 8. 675.
 

Abnahme von Heeresgerät
Die teilweise sehr hohen Anforderungen an die Maßhaltigkeit und Oberflächengüte der Teile und die Zweckanwendung des Heeresgerätes haben es erforderlich gemacht, Maßnahmen zu treffen, die in vielem von den normalen Gepflogenheiten der Kontrolle industrieller Erzeugnisse abweichen. Ich möchte, wenn auch nur ganz kurz, die Abnahme von Heeresgerät streifen, soweit der Fertigungsingenieur von deren Auswirkung betroffen wird. Eine besondere Eigenart bei der Heeresgerät-Fertigung  ist  das  Vorhandensein  der   Zwischen- und Fertigabnahme durch behördliche Stellen. Durch die Einschaltung der amtlichen Abnahmestellen tritt die Beurteilung der Güte und Brauchbarkeit der Erzeugnisse, vielfach schon der Einzelteile, aus dem Rahmen eines innerbetrieblichen Vorganges heraus. Der Ausschuß verschlechtert nicht nur die Wirtschaftlichkeit des Betriebes, sondern das Ausmaß der zur Abnahme vorgestellten und nicht abgenommenen Teile sowie die Anlässe der Abnahmeverweigerung können zu Beurteilungen und Rückschlüssen führen, die sonst nur reinste Betriebsangelegenheiten sind. Aus der Industrie hört man zuweilen klagen, daß die amtliche Abnahme zu hohe Anforderungen stelle, ja, daß diese Forderungen zuweilen unverständlich seien. Das wäre aber fehlendes Verständnis für die ungemein verantwortliche Arbeit der Abnahmestellen bzw. eine Verkennung von Ursache und Wirkung. Das Heeresgerät ist nach erfolgter Abnahme auch einzelner Teile Reichseigentum, und dadurch entsteht ein Besitzverhältnis, welches ganz anderer Natur ist als bei einem Privatbesitz. Der Abnahmebeamte ist dem Reich gegenüber mit seinem Einkommen haftbar, wenn ihm nachgewiesen werden kann, daß durch seine Unachtsamkeit oder durch die Nichtbefolgung der Abnahmevorschriften dem Reich ein Schaden entsteht. Er wird daher naturgemäß immer bestrebt sein, sich streng an die sog. „Technischen Lieferbedingungen" zu halten und alles zurückzuweisen, was ihnen nicht entspricht. Einem freien Ermessen ist hier gar kein Spielraum gelassen. Wie anders ist es vielfach bei dem Hersteller von privaten technischen Erzeugnissen. Gewiß gibt es auch da Überwachungen und Prüfungen, aber der Leiter einer Werkskontrolle ist aus verständlichen Gründen viel mehr aufs Wirtschaftliche eingestellt und wird immer wieder in die Lage versetzt, „ausnahmsweise" Zugeständnisse den Werkstätten gegenüber zu machen, um das Unternehmen vor wirtschaftlichen Schäden zu bewahren.
So soll und kann ein Abnahmebeamter von Heeresgerät nicht vorgehen. Seine pflichtmäßige Einstellung ergibt sich aus den technischen Forderungen, die in den Lieferbedingungen niedergelegt sind. So wird häufig der vielleicht stark wirtschaftlich eingestellte Betriebsmann es als kleinlich empfinden, wenn der Abnahmebeamte Teile zurückweist, die z. B. bei einem Maß um 0,1 mm nicht stimmen. Er muß jedoch bedenken, daß ihm die Auswirkungen dieser Maßabweichung auf die Funktion des Gerätes oft nicht bekannt sind und daß die Festlegungen einer bestimmten Toleranz Erfahrungswerte darstellen, die nach langem Ausprobieren als unbedingt richtig anerkannt worden sind. Für ihn und die Abnahmestellen sind einzig und allein die Zeichnungen und die Abnahme Lehren maßgebend, und danach muß man sich richten. Wird diese Erkenntnis Allgemeingut bei den Herstellern, so wird manche noch bestehende Unzuträglichkeit verschwinden. Die gewaltsame Einschränkung, welche bis 1933 auf der deutschen Waffenindustrie lastete, einerseits, das Ausmaß der derzeitigen Aufrüstung unter Heranziehung weitester Kreise der deutschen Industrie anderseits, hat ergeben, daß für einen großen Teil der in der Industrie arbeitenden Ingenieure eine Fülle neuer Probleme aufgetreten ist. Es sollte in einem kurzen Aufriß gezeigt werden, daß, wenn die Fertigung von Heeresgerät auch manche Eigenarten aufweist, diese Eigenarten durch die Natur der Sache bedingt sind, in keinem Falle aber aus dem Rahmen einer technischen Ingenieurarbeit heraus treten und nicht — wie es bis vor gar nicht langer Zeit den Anschein hatte  eine „Geheimwissenschaft" darstellen, die nur wenigen Eingeweihten zugängig ist. Die Forderung „Güte und Präzision" wird allerdings ganz groß geschrieben, doch jeder Fertigungsingenieur, dem diese Begriffe in Fleisch und Blut übergegangen sind, wird die Aufgaben, die die Heeresgerät-Fertigung stellt, zu meistern wissen


 

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