Reichsbahn und Arbeitsbeschaffung
Von Dr.-lng. E. h. Max Leibbrand, Direktor der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, Berlin
 
Die Deutsche Reichsbahn ist der größte Auftraggeber der deutschen Industrie und des deutschen Baugewerbes. Die augenblicklichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die sich aus dem Fortschritt im Eisenbahnwesen ergebenden künftigen Möglichkeiten zur Arbeitsbeschaffung werden geschildert.
Die stürmische Entwicklung des deutschen Eisenbahnnetzes hat mit dem Weltkrieg aufgehört. Der Zuwachs an Anlagekapital der Preußischen und Hessischen Staatseisenbahnen im Jahre 1913 betrug 621 Millionen M\ für das jetzt von der Reichsbahn betriebene Netz ergab sich im gleichen Jahr, umgerechnet über den heutigen Bau- und Beschaffungsindex, ein Anlagezuwachs von rd. l Milliarde RM. Im Krisenjahr 1932 konnte die Deutsche Reichsbahn nur 46 Millionen RM für Neuanlagen buchen.
Die Gründe für den Absturz liegen auf der Hand: Dem starken Bevölkerungszuwachs der letzten Vorkriegsjahre und dem damaligen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung entsprach eine Steigerung des Verkehrsbedürfnisses, das am besten durch das Anwachsen der Betriebseinnahmen der Preußisch- Hessischen Staatsbahnen im Abschnitt 1885 bis 1913 von 1,04 auf 2,56 Milliarden RM also in 19 Jahren um 146 % gekennzeichnet wird. Die Eisenbahnen hatten im großen Überlandverkehr zwar nicht das gesetzliche, aber doch das tatsächliche Verkehrsmonopol. Sie waren das einzige Landverkehrsmittel, das für die Bewältigung der immer mehr anschwellenden Verkehrsaufgaben und für die Erschließung der abseits der Wasserstraßen liegenden Landstriche zur Verfügung stand. Also mußte das Schienennetz verdichtet und leistungsfähiger gemacht werden.
Mit dem unglücklichen Kriegsende und der nach der Scheinblüte einsetzenden Wirtschaftskatastrophe hörte die Wirksamkeit der Kräfte auf, die das Wachstum der Eisenbahn hervorgebracht hatten. An Stelle der fördernden traten hemmende Einflüsse. Die Versorgung auch des platten Landes mit Eisenbahnlinien hatte einen gewissen Sättigungsgrad erreicht. Die politische Last von rd. l Milliarde RM jährlich, die das Versailler Diktat und das Londoner Abkommen schon allein der Reichsbahn brachten, legte sich — verstärkt durch die Lasten, die Deutschland sonst noch zu tragen hatte — wie ein Alp auf die Reichsbahn. Als das Unternehmen 1932 endlich von den drückenden Auflagen zum größten Teil befreit wurde, hatte die Wirtschaftskrise mit voller Wucht eingesetzt. Sie wird zwar vorübergehen. Die Strukturwandlungen, die sich inzwischen im Verkehr vollzogen haben, aber werden bleiben. Neben den Schienenstrang sind andere Überlandverkehrsmittel getreten: elektrische Kraftleitungen, Gasfernleitungen, neue Kanäle, vor allem der Kraftwagen.
Das Bedürfnis, das bestehende hochentwickelte Eisenbahnnetz noch weiter in großem Umfange zu verdichten, ist endgültig verschwunden. Es handelt sich nur noch um die Ausfüllung einer Anzahl von Lücken, insbesondere solcher, die die neue Grenzziehung gerissen hat. Mit einem Wachstum der Eisenbahn im Vorkriegsstil können wir nicht mehr rechnen.

Die Reichsbahn als Auftraggeber
Und doch ist die Reichsbahn der größte Auftraggeber der deutschen Industrie und des deutschen Baugewerbes geblieben. Als größtes Unternehmen nicht nur Deutschlands, sondern der Welt bietet sie im eigenen Betrieb Hunderttausenden Arbeit und Brot. Vergrößerung der Streckenlänge und Vermehrung der Fahrzeuge ist dazu nicht nötig. Der Wert der Reichsbahnanlagen mit Fahrzeugen steht mit rd. 27,7 Milliarden RM zu Buch. Die Bedürfnisse der laufenden Unterhaltung und Erneuerung sind entsprechend groß. Der Verbrauch des Betriebes an Stoffen aller Art ist gewaltig.

Selbstverständlich hängt die Höhe der Betriebsausgaben sehr stark von den Betriebseinnahmen ab. 1929 war der Betriebsertrag 5354 Millionen JWl, 1933 konnten nur rd. 2900 Millionen RM erzielt werden; der Rückgang betrug in den vier Jahren 46 %. Die Ausgaben der Betriebsrechnung sind im gleichen Zeitraum von 4494 Millionen auf rd. 3100 Millionen RM, also um rd. 31 % gesunken. Die Kapitalrechnung schließt 1933 mit rd. 310 Millionen RM, ab; angesichts des vorhin erläuterten, sehr geringen Erweiterungsbedürfnisses der Reichsbahn und des niedrigen Standes der Einnahmen sind das immer noch sehr hohe Beträge. Die Erfordernisse des Betriebes und der Zustand der Bahnanlagen und der Fahrzeuge hätten eine weitere Drosselung der Ausgaben sehr wohl zugelassen. Aber die Reichsbahn hat es immer für ihre Pflicht gehalten, in kritischer Zeit für Arbeitsbeschaffung über das Maß hinaus zu sorgen, das sich aus den unmittelbaren Betriebsbedürfnissen ergibt. Seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahre 1930 bis Mitte 1933 wurden rd. 950 Millionen RM für solche zusätzlichen Beschaffungen und Bauausführungen über das an sich nötige Grundprogramm hinaus aufgewendet. Die nötigen Mittel wurden in Höhe von rd. 600 Millionen RM durch Inanspruchnahme von Krediten bereitgestellt.


Zusätzliche Arbeitsbeschaffung
Im Juli 1933 entschloß sich die Reichsbahn zu einem neuen großen Programm von 560 Millionen RM für zusätzliche Arbeitsbeschaffung zur Unterstützung der Aufbaupolitik unseres Führers Adolf Hitler und im Vertrauen auf den kommenden wirtschaftlichen Aufschwung. Sie kann eine so großzügige Maßnahme durchführen dank ihrer weitsichtigen Finanz-, Bau- und Beschaffungspolitik der vergangenen Jahre. Trotz aller Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, ist sie wirtschaftlich und technisch gesund geblieben. Die Schuldenlast ist im Verhältnis zum Anlagekapital klein, so daß sie sehr kreditfähig und damit in der Lage ist, trotz des z. Z. nicht glänzenden Betriebsabschlusses die Zusatzausgaben zu tragen. Als Erfolg wird die' Reichsbahn Verbesserungen ihrer Anlagen und ihres Betriebes ernten, die zwar nicht dringend, aber doch sehr willkommen sind, weil sie technische Verbesserungen ihrer Anlagen über das knappe Maß hinaus bringen, das der Höhe der Einnahmen entspricht. So lassen sich die Mehrausgaben auch vom engeren Standpunkt des Unternehmers aus rechtfertigen.

Das neue Arbeitsbeschaffungsprogramm ist im Benehmen mit der Reichsregierung aufgestellt. Es entspricht dem Sinn des Gesetzes zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933. Von den 560 Millionen Reichsmark entfallen 250 Millionen RM auf 1933 und die übrigen 310 Millionen RM auf 1934.

Ein weiteres besonderes, ergänzendes Winterprogramm 1933/34 in Höhe von 25 Millionen RM dient im wesentlichen der Beschäftigung der Handwerkerbetriebe, die für Hochbauten arbeiten und erfahrungsgemäß in den Wintermonaten schwer zu kämpfen haben. Diese Arbeiten sollen bis zum 31. März 1934 erledigt sein. Und schließlich werden noch 40 Millionen RM zusätzliche Aufträge im Jahre 1934 hinausgegeben werden, so daß der Gesamtbetrag für zusätzliche Arbeiten 1933/1934 sich auf 560 + 25 + 40 = 625 Millionen RM beläuft. Einschließlich der Löhne der Bahnunterhaltungs- und Werkstättenarbeiter gibt die Reichsbahn in den beiden Jahren 1933 und 1934 im ganzen 1,4 Milliarden RM für Arbeitsbeschaffung aus.


Erhaltung und Erneuerung der bestehenden Anlagen
Die Verwendung der Mittel im einzelnen erfolgt so, daß die durch die Arbeitslosigkeit besonders gefährdeten Wirtschaftsgebiete möglichst kräftig gestützt werden und gleichzeitig für das Unternehmen Brauchbares erreicht wird. Denn die Arbeiten müssen volkswirtschaftlich zu rechtfertigen sein. Den Zeitarbeitern in der Bahnunterhaltung und den Arbeitern der Ausbesserungswerke sollen ihre Arbeitsstellen erhalten bleiben; die wichtigen großen und kleinen Eisenbahn - Lieferindustrien, das Baugewerbe und die Handwerke sollen gestützt und durchgehalten, die Zusammenarbeit zwischen Schiene und Kraftwagen weiter gefördert werden. Auf die Unterhaltung und Erneuerung des Oberbaues und der baulichen Anlagen entfallen 244 Millionen RM auf Fahrzeuge 145 Millionen, auf maschinelle Anlagen 11 Millionen, auf Neubauten 165 Millionen und auf die Finanzierung der Reichsautobahnen 50 Millionen RM.

Oberbau
Die Vermehrung der Oberbauarbeiten ermöglicht langfristig laufend den Stahlwerken monatlich 40 000 t Schienen abzunehmen und Kleineisenzeug, Steinschlag und Holzschwellen in regelmäßiger Verteilung über längere Zeit zu beschaffen. 1933 wurden 2600 km Gleis und 6400 Weichen erneuert; davon entfallen 1200 km und 3000 Weicheneinheiten auf das Zusatzprogramm. Der Einbau von 30 m langen Schienen konnte so gefördert werden, daß nunmehr im ganzen 6700 km damit ausgerüstet sind. Kurze Schienen werden in großem Umfange verschweißt. Durch Verbesserungen der Linienführung und Verwendung neuzeitlicher Weichen mit großen Halbmessern und Bogenweichen in großer Zahl werden Langsamfahrstellen beseitigt und wird die Betriebssicherheit gesteigert. Die Zahl der Zeitarbeiter, die in anderen Jahren nur für die Sommermonate eingestellt wurden, diesmal aber auch den Winter hindurch ihre Arbeitsstelle behielten, beträgt 62 000. Der Oberbau der Reichsbahn befindet sich infolge der Zusatzleistungen jetzt durchweg in vorzüglichem Zustand.

Brücken und andere Bauten
Die Verstärkung und Erneuerung von Brücken wird planmäßig fortgesetzt 1). Dabei wird Elektroschweißung in steigendem Maße angewendet. Bis jetzt sind über 50 geschweißte Blechträgerbrücken im Reichsbahnnetz ausgeführt 2). Brüchige Gewölbe geringer Stützweite und kleine Blechträger werden vielfach durch Decken aus Walzträgern in Beton ersetzt. Die große und sehr kostspielige Verstärkung der 723 Bögen der Berliner Stadtbahn 3) ist bis auf 171 Gewölbe durchgeführt.
Schienengleiche Wegübergänge werden fortschreitend durch Unter- und Überführungen ersetzt; allein zwischen Bad Reichenhall und Bad Reichenhall-Kirchberg konnten 1933 nach Höherlegen der Strecke und Bau von fünf Unterführungen acht Wegübergänge eingezogen werden. Reichliche Arbeitsgelegenheit bietet die Freilegung eines Teiles des Mainzer Tunnels und der Ersatz des 274 m langen Schönhuter Tunnels bei Dittersbach durch einen offenen, i. M. fast 50 m tiefen Einschnitt, der in vier Jahren vollendet sein wird.

Fahrzeugbeschaffung
Das Fahrzeugbeschaffungsprogramm 1933/1934 in Höhe von 122 Millionen RM umfaßte zunächst Dampflokomotiven, elektrische Lokomotiven und Kleinlokomotiven für zusammen rd. 37 Millionen RM elektrische Triebwagen und solche mit eigener Kraftquelle und zugehörigen Beiwagen für rd. 19 Millionen RM Personen-, Gepäck-, Güter- und Bahndienstwagen für 41 Millionen JM und Kraftwagen für 15 Millionen RM. Der Arbeitsfortschritt in den Lieferwerken und die Notwendigkeit, für die dort vorhandenen Arbeiter zu sorgen, machte im Verlauf der Ausführung eine Reihe größerer Änderungen des Programms erforderlich. Schwankungen im Beschäftigungsgrad der einzelnen Lieferfirmen wurde so wirksam vorgebeugt. Die Werke wurden instandgesetzt, ihrerseits Fabrikations- und Beschäftigungsprogramme auf lange Sicht aufzustellen. Die gleichen Ziele sind maßgebend für die Verteilung der Aufträge zur Lieferung der Ersatzteile aller Art für Fahrzeuge und Kleineisenzeug für den Oberbau.

Neubautätigkeit
Die Neubautätigkeit hat an vielen Punkten wieder lebhafter eingesetzt3*). Im Jahre 1933 wurde die Verlängerung der Renchtalbahn von Bad Peterstal nach Bad Griesbach in Baden dem Betrieb übergeben, die Nebenbahn Borna — Bad Lausick - Großbothen weitergebaut und mit der Fortsetzung der Nebenbahn Klotzsche - Schwebnitz bis Straßgräbchen in Sachsen begonnen. An der Neubaustrecke Witten - Barmen sind die Arbeiten wieder aufgenommen worden mit dem Ziel endlicher Fertigstellung nach jahrzehntelanger Bauzeit. Die drei im Osthilfegesetz enthaltenen Nebenbahnen Kandrzin - Groß Strehlitz, Schwerin - Altbeelitz (Kreuz) und Türkismühle-Kusel werden kräftig gefördert. Der Bau der wichtigen Nordsüdverbindungsbahn in Berlin4), der zu 140 Millionen RM veranschlagt ist, ist begonnen, die Arbeiten am Rügendamm5) sind wieder in Gang gesetzt. Die schmalspurigen Nebenbahnen Dorndorf (Rhön) - Kaltennordheim und Eichstädt Bahnhof - Eichstädt Stadt werden auf Regelspur gebracht. Die Ausrüstung einer großen Anzahl von Strecken mit weiteren Gleisen schreitet vorwärts: so der mehrgleisige Ausbau der Strecke Pirna-Heidenau bei Dresden und die Herstellung des zweiten Gleises Osterburken - Stuttgart - Tuttlingen - Hattingen (Baden). Die Durchführung des „Rhein-Ruhrprogramms", das den viergleisigen Ausbau Dortmund - Duisburg - Köln mit Umgestaltung aller an der Strecke liegenden großen Bahnhöfe einschließlich Oberhausen und Gelsenkirchen vorsieht, ist besonders in Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen in vollem Fluß. Die Güterumgehungsbahn  Magdeburg- Sudenburg ist fertiggestellt, die bei Hamburg und Stettin wird weitergebaut. Eine große Anzahl von Bahnhofsumbauten und Erweiterungen ist im ganzen Reich im Gang. Auf der Berliner Wannseebahn ist der elektrische Betrieb aufgenommen, nachdem die nötigen Umgestaltungen der Strecke und der Bahnhöfe, vor allem des neuen Umsteigebahnhofs Schöneberg, im wesentlichen vollendet sind. Die Ausdehnung des elektrischen Betriebes auf die Strecke München — Dachau, Augsburg - Nürnberg, Halle — Magdeburg, Tübingen - Plochingen und die Höllentalbahn im Schwarzwald ist eingeleitet. Bei Maxau und Speyer werden die Schiffsbrücken über den Rhein durch feste Anlagen ersetzt,

Signalwesen
Auch die Signalbauanstalten erhalten vermehrte Aufträge. Die Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit verlangt auf allen Schnellzugstrecken die Vergrößerung der Vorsignalabstände von 700 auf 1000 m, die in wenigen Jahren durchgeführt sein soll. Viele Stellwerke werden erneuert oder neu errichtet. Die Zugbeeinflussungseinrichtungen zur Verhütung des Überfahrens von Haltsignalen werden verbessert und vermehrt, ebenso die Fernmeldeanlagen aller Art.
Es ist ein recht vielseitiges Bild der Arbeitsbeschaffung, das sich aus der Umsetzung der Milliardenausgaben der Reichsbahn in Leistungen und Lieferungen ergibt. Das Überwiegen der laufenden Unterhaltung und der im Gesamtrahmen gesehenen kleineren Arbeiten zur Ergänzung und Erneuerung der ortsfesten Anlagen und des Fahrzeugparks aber bestätigt, daß die Aufgaben zur Erweiterung des Netzes durch Neubaustrecken zurückgetreten sind.
......


') Vergl. R. Bernhard, Z. VDI Bd. 76 (1932) S. 1264: W. Kreß ebenda ßd. 77 (1933) S. 1201.  
2) Vgl. R. Bernhard, Z. VDT Bd. 74 (1930) S. 1201. 3) Vergl. a. E. Rausch,  Z. VDT Bd. 76 (1932) S. 155.
3a) Vergl. a.  K. Wilkelmi,   Z. VDI   Bd. 78 (1934) S. 129, dieses Heft.
B) Vergl. E. Risch, Z. VDI Bd. 75 (1931) S. 761.
4) Vergl. G. Capelle, Z. VDT Bd. 78 (1934) S. 135, dieses Heft.


Auszug aus: VDI Zeitschrift, vom 27.1.1934 Bd. 78, Nr. 4, S. 131


 

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